Arbeitsrecht: Anfechtung des Arbeitsvertrages

Arbeitsrecht: Anfechtung des Arbeitsvertrages (zuletzt BAG, Urteil vom 7. Juli 2011 – 2 AZR 396/10)

In einer neueren Entscheidung hat sich das Bundesarbeitsgericht zu der Frage geäußert, wann eine Anfechtung des Arbeitsvertrages durch einen Arbeitgeber berechtigt ist.

Recht zur Lüge beim Vorstellungsgespräch:
Eine Anfechtung des Arbeitsvertrages durch den Arbeitgeber kommt meist dann in Betracht, wenn sich dieser beispielsweise auf Grund von Lügen des Arbeitnehmers im Vorstellungsgespräch arglistig getäuscht sieht. Hier ist allerdings zu differenzieren: der Arbeitnehmer ist nicht immer gezwungen, auf jede Frage des Arbeitgebers mit der Wahrheit zu antworten.

Vielmehr steht ihm bei bestimmten Fragen ein Recht zur Lüge zu. Dieses Recht gilt vor allem dann, wenn die Frage einen diskriminierenden Charakter hat, wenn also die Gefahr besteht, dass der Arbeitnehmer bei wahrheitsgemäßer Beantwortung wegen seines Geschlechts, seiner Herkunft, seines Alters, seiner Religion oder Weltanschauung oder aus ähnlichen Gründen benachteiligt wird. So sind zum Beispiel Fragen nach einer bestehenden Schwangerschaft oder wohl auch nach einem bestehenden Kinderwunsch unzulässig. Dasselbe gilt für die Angehörigkeit zu einer bestimmten Partei oder Religionsgemeinschaft, sofern es sich nicht um eine verfassungsfeindliche Organisation handelt.

Wahrheitsgemäße Angaben sind hingegen beispielsweise bei der Frage nach Zusatzqualifikationen, der absolvierten Ausbildung oder den fachlichen Kenntnissen zu machen.
Im aktuellen Urteil hatte das Bundesarbeitsgericht zu entscheiden, ob auch die Frage nach einer bestehenden Schwerbehinderung zur Lüge berechtigt. Darauf kam es nach Lage der Dinge jedoch gar nicht an: es stellte fest, dass es auf Grund der Aussage des Arbeitgebers, dass er die Arbeitnehmerin auch bei Kenntnis der Schwerbehinderung eingestellt hätte, an der Ursächlichkeit der Lüge der Arbeitnehmerin für den Abschluss des Arbeitsvertrages fehle. Der Arbeitgeber hat durch seine Aussage also zu verstehen gegeben, dass ihm auch eine Lüge im Bezug auf die Schwerbehinderung letztendlich egal ist.

Für eine wirksame Anfechtung des Arbeitsvertrages ist es allerdings grundsätzlich Voraussetzung, dass der Arbeitgeber gerade auf Grund der Täuschung durch die Lüge des Arbeitnehmers zum Abschluss des Arbeitsvertrages bestimmt wird.
Darüber, ob stets ein Recht zur Lüge bei der Frage nach einer bestehenden Schwerbehinderung gegeben ist, musste das Bundesarbeitsgericht daher gar nicht entscheiden. Gleichwohl ist ein solches wohl zumindest für den Fall zu verneinen, dass sich der Arbeitgeber danach erkundigt, ob der Arbeitnehmer in der Lage ist, die zukünftige Tätigkeit überhaupt auszuüben. Zwar wurde auch die direkte Frage nach einer Schwerbehinderung lange wohl als zulässig erachtet; denn den Arbeitgeber treffen bei der Einstellung Schwerbehinderter erweiterte Pflichten, welchen er nicht nachkommen kann, wenn er um die Schwerbehinderung gar nicht weiß. Allerdings stellt eine solche Frage im Allgemeinen wohl eine Diskriminierung Behinderter dar, die nicht hinzunehmen ist. Es bleibt abzuwarten, wie die Rechtsprechung in Zukunft entscheiden wird.

Folgen der Anfechtung eines Arbeitsvertrages:
Die Folgen der Anfechtung eines Arbeitsvertrages ähneln denen einer Kündigung:
Jede Partei kann sich, abweichend von den allgemeinen Regeln der Anfechtung, durch Erklärung vom Arbeitsvertrag für die Zukunft lösen. Die in der Vergangenheit erworbenen Ansprüche bleiben weitgehend unberührt.
Für den Arbeitnehmer empfiehlt es sich daher, sich im Zweifelsfalle vorab darüber zu informieren, welche Fragen in Bewerbungsgesprächen als zulässig gelten.

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