VIP Medienfonds

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

X ARZ 381/06

vom

30. Januar 2007

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk: ja

BGHZ: nein

BGHR: ja

ZPO § 32 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1

Wird ein Beklagter wegen Verletzung eines Anlageberatungsvertrages auf Schadensersatz in Anspruch genommen, findet § 32 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO keine Anwendung, auch wenn sich der Beklagte bei der Beratung auch auf öf-fentliche Kapitalmarktinformationen bezogen hat.

BGH, Beschl. v. 30. Januar 2007 – X ARZ 381/06 – OLG Düsseldorf

– 2 –

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. Januar 2007 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, den Richter Keukenschrijver, die Richte-rin Mühlens und die Richter Prof. Dr. Meier-Beck und Asendorf

beschlossen:

Als zuständiges Gericht wird das Landgericht München I bestimmt.

Gründe:

1

I. Der Kläger verlangt von den Beklagten Schadensersatz. Er trägt zur Begründung seiner Klageforderung vor:

2

Er sei vom Geschäftsführer und Mitarbeitern der Beklagten zu 2 telefo-nisch und schriftlich über eine Beteiligung an dem “VIP 4-Fonds” beraten wor-den. Die Beklagte zu 2 habe dabei einen Prospekt “VIP Medienfonds 4” und diverse andere Informationsschriften verwandt. Aufgrund dieser Beratung habe er mit der M. GmbH ei- nen Treuhandvertrag über eine Kommanditbeteiligung an der … … GmbH & Co. KG in Höhe von 25.000,– € ge- schlossen. Er habe an die Fondsgesellschaft einschließlich eines Agios von 1.250,– € insgesamt 14.875,– € gezahlt. Den Rest habe die Beklagte zu 3 fi-nanziert. Gegenstand des VIP 4-Fonds habe die Herstellung und der Vertrieb von Kino-, Fernseh- und Musikproduktionen mit einem angeblich abschrei-

– 3 –

bungsfähigen Aufwand im Jahre 2004 von 338.830.143,39 € sein sollen. In den öffentlich vertriebenen Prospekten der VIP Medienfonds 4 GmbH & Co. KG sei nicht darüber aufgeklärt worden, dass das Großteil des Fondsvermögens nicht für die Produktion von Filmen verwendet worden sei und dass die Fonds keine echten Garantiefonds seien. Hätte die Beklagte zu 2 ihn hierüber ordnungsge-mäß beraten, so hätte er sich an dem Fonds nicht beteiligt. Der Beklagte zu 1 hafte als Initiator und Hintermann, die Beklagte zu 3 sei für den verwendeten Prospekt verantwortlich.

3

Der Beklagte zu 1 befindet sich in München in Untersuchungshaft, die Beklagte zu 2 hat ihren Sitz in Neuss, die Beklagte zu 3 in München. Der Kläger hat beim Landgericht Düsseldorf Klage eingereicht, die allen Beklagten zuge-stellt worden ist. Der Beklagte zu 1 und die Beklagte zu 3 haben die örtliche Unzuständigkeit des Landgerichts Düsseldorf gerügt. Mit Schriftsatz vom 11. Juli 2006 hat der Kläger das Oberlandesgericht Düsseldorf um Gerichts-standsbestimmung ersucht und in erster Linie beantragt, das Landgericht Düs-seldorf als zuständiges Gericht zu bestimmen.

4

Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat sich zwar gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO als berufen angesehen, den Gerichtsstand zu bestimmen. Es möchte je-doch von einer solchen Bestimmung absehen, da für alle Beklagten der ge-meinschaftliche besondere Gerichtsstand des § 32 b Abs. 1 Satz 1 Nr.1 ZPO begründet sei.

5

Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat die Sache dem Bundesgerichtshof vorgelegt, weil es mit der beabsichtigten Entscheidung von den Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte abweichen würde.

6

II. Die Vorlage ist zulässig.

– 4 –

7

Gemäß § 36 Abs. 3 ZPO hat ein Oberlandesgericht, das mit der Zustän-digkeitsbestimmung befasst ist, die Sache dem Bundesgerichtshof vorzulegen, wenn es in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Oberlan-desgerichts oder des Bundesgerichtshofs abweichen will. Diese Voraussetzun-gen liegen vor.

8

Das vorlegende Oberlandesgericht will seiner Entscheidung die Auffas-sung zugrunde legen, eine Gerichtsstandsvereinbarung sei deshalb nicht erfor-derlich, weil für alle Beklagten der gemeinschaftliche besondere Gerichtsstand des § 32 b Abs. 1 Satz 1 Nr.1 ZPO begründet sei. Mit dieser Rechtsauffassung würde das vorlegende Oberlandesgericht jedenfalls von derjenigen der Ober-landesgerichte Stuttgart, Celle, Frankfurt und Hamburg abweichen, die einen gemeinschaftlichen besonderen Gerichtsstand deswegen verneint haben, weil jedenfalls in Bezug auf denjenigen von mehreren Beklagten, der die Beteiligung an dem Fonds lediglich vermittelt habe, § 32 b Abs. 1 Satz 1 Nr.1 ZPO nicht anzuwenden sei. Das Oberlandesgericht Düsseldorf würde zudem auch von der Entscheidung des Oberlandesgerichts München abweichen, das § 32 b ZPO für nicht anwendbar gehalten hat, weil diese Vorschrift bei Vermögensanlagen des ungeregelten sog. Grauen Kapitalmarkts nicht gelte (ZIP 2006, 1699).

9

III. Der Antrag auf Zuständigkeitsbestimmung ist begründet. Ein gemein-samer besonderer oder ausschließlicher Gerichtsstand für alle Beklagten liegt nicht vor. Die Voraussetzungen für die ausschließliche Zuständigkeit nach § 32 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO sind hinsichtlich der Beklagten zu 2 nicht erfüllt.

10

Allerdings setzt die Anwendung der Vorschrift nicht voraus, dass Scha-densersatzansprüche geltend gemacht werden, die auf bestimmten spezialge-setzlichen Regelungen beruhen; sie umfasst alle Haftungstatbestände. Voraus-

– 5 –

setzung ist nur, dass der Schaden, für den Ersatz verlangt wird, aufgrund fal-scher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformationen entstanden ist (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs BT-Drucks. 15/5091 S. 33 zu Nr. 2; Zöller/Vollkommer, ZPO, 26. Aufl., § 32 b Rdn. 5). Der Begriff der öffentlichen Kapitalmarktinformation ist in § 1 Abs. 1 Satz 3 Kapitalanleger-musterverfahrensgesetz (KapMuG) definiert. Danach sind öffentliche Kapital-marktinformationen solche, die für eine Vielzahl von Kapitalanlegern bestimmte Informationen über Tatsachen, Umstände, Kennzahlen und sonstige Unter-nehmensdaten enthalten, die einen Emittenten von Wertpapieren oder Anbieter von sonstigen Vermögensanlagen betreffen. Dieser Begriff war im Regierungs-entwurf enger gefasst und ist auf Empfehlung des Rechtsausschusses (BT-Drucks. 15/5695 S. 23) erweitert worden auf “alle Anbieter sonstiger Ver-mögensanlagen”. Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts München (aaO) werden damit auch diejenigen Kapitalanlagen erfasst, für die eine Pro-spektpflicht gesetzlich nicht geregelt ist. Die Vorschrift setzt eine Prospektpflicht nicht voraus, sie knüpft vielmehr daran an, dass der Schaden aufgrund falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformationen verur-sacht worden ist.

11

Gleichwohl ist § 32 b Abs. 1 ZPO nicht anwendbar, soweit der Scha-densersatzanspruch gegen die Beklagte zu 2 gerichtet ist. Denn diese wird we-gen ihrer falschen oder unzureichenden Beratung im Rahmen eines Anlagebe-ratungsvertrags in Anspruch genommen und nicht aufgrund falscher, irrefüh-render oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformationen. Anspruchs-grundlage ist insoweit eine Verletzung des Anlageberatungsvertrags, der nicht schon deshalb öffentliche Kapitalmarktinformationen zum Gegenstand hat, weil sich die Beklagte zu 2 bei ihrer Beratung auch auf öffentliche Kapitalmarktin-formationen bezogen hat. Die Beklagte ist auch nicht Anbieter i.S. von § 32 b ZPO. Anbieter ist nur derjenige, der für das öffentliche Angebot von Vermö-

– 6 –

gensanlagen verantwortlich ist und so auch den Anlegern gegenüber auftritt (Begründung des Regierungsentwurfs eines Anlegerschutzverbesserungsge-setzes – AnSVG -, BT-Drucks. 15/3174 S. 42). Diese Voraussetzungen treffen auf die Beklagte zu 2 nicht zu.

12

Ein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand der unerlaubten Handlung lässt sich nach dem Vortrag des Klägers ebenfalls nicht feststellen. Ein anderer gemeinsamer Gerichtsstand der Beklagten ist mithin nicht begründet, so dass eine Gerichtsstandsbestimmung erforderlich ist.

13

IV. Der Senat hat es für zweckmäßig gehalten, als zuständiges Gericht das Landgericht München I zu bestimmen. Dort hat die Beklagte zu 3 ihren all-gemeinen Gerichtsstand. Für den Beklagten zu 1 und die Beklagte zu 3 ist dort auch der Gerichtsstand des § 32 b ZPO. Außerdem sind beim Landgericht

– 7 –

München I eine Vielzahl von Parallelverfahren anhängig, so dass es auch zur Erreichung einer einheitlichen Behandlung sinnvoll erscheint, das Landgericht München I als zuständiges Gericht zu bestimmen.

Melullis Keukenschrijver Mühlens

Meier-Beck Asendorf

Vorinstanz:

OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 12.10.2006 – I-5 Sa 88/06 –

Please follow and like us:

Mehr zum Thema

BANK- UND KAPITALMARKTRECHT232
Bank- und Kapitalmarktrecht "Es ist gut, dass die Menschen ihr Geldsystem nicht verstehen, denn sonst hätten wir noch vor morgen früh eine Revolution" Henry Ford Achtung: Absolute Verjährung, taggenau 10 Jahre ab Zeichnung bzw. Vertragsschluss  Bankrecht und Kapitalmarktrecht: Begriffsbestimmungen und rechtliche Grundlagen Das Bank- und Kapitalmarktrecht umfasst zwei in der Tradition und in der Ausformung völlig unterschiedliche Rechtsgebiete: Das Bankrecht ist ein althergebrachtes traditionelles Rechtsgebiet mit einer Fülle von Rechtsfragen vom Allgemeinen Teil des BGB bis hin zum speziellen Recht der Ausführungsverordnungen zum Kreditwesengesetz. Das Kapitalmarktrecht hingegen – als Begriff noch Anfang der siebziger Jahre des vorherigen Jahrhunderts weitgehend unbekannt – stellt in Deutschland ein vergleichsweise junges und spezielles Rechtsgebiet dar, welches in den letzten Jahren eine nahezu beispiellos stürmische und dynamische Entwicklung durchlaufen hat und sich nach wie vor in Bewegung befindet. Bankrecht Zum tief im Bürgerlichen Gesetzbuch verankerten Bankrecht gehören im Wesentlichen das Recht des Kredit- und Einlagengeschäfts der Kreditinstitute, des Zahlungsverkehrs, des Wertpapier- und Depotgeschäfts sowie die damit verbundenen Haftungsfragen, z. B. infolge fehlerhafter Beratung oder Aufklärung. Weiterhin zählen dazu das spezialgesetzlich geregelte Scheck- und Wechselrecht. Berührungspunkte bestehen insbesondere zum Handels- und Gesellschaftsrecht. Kapitalmarktrecht Kernbereiche des Kapitalmarktrechts, die Regelungen zum Insiderhandel, der Marktmanipulation, Publizitätspflichten und besondere Verhaltenspflichten für Wertpapierdienstleistungsunternehmen sind im WpHG – auch als Grundgesetz des Kapitalmarktrechts bezeichnet – verankert. Hinzu kommen das Börsenrecht, das InvG, das Prospektregime nach VerkaufsprospektG und WpPG sowie das Recht der Unternehmensübernahmen börsennotierter Aktiengesellschaften. Zahlreiche Gesetze – wie z. B. KWG, GwG, AktG, HGB oder auch das StGB – enthalten weitere für das Kapitalmarktrecht bedeutende Normen oder stehen mit diesem in unmittelbarem sachlichen Zusammenhang. Ergänzt werden die gesetzlichen Regelungen durch eine Fülle von Verordnungen, Satzungen, Richtlinien, Verwaltungsvorschriften, Mitteilungen (z. B. der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht – BaFin) und Allgemeinen Geschäftsbedingungen (z. B. Sonderbedingungen für Wertpapiergeschäfte).   Ansprechpartner: Enrico Weide, Rechtsanwalt Susanne Störmer, Rechtsanwältin Stephanie Schulze, Rechtsanwältin Knud J. Steffan, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht